Montag, 18. Februar 2019

Gegen den Strom

Der Querschwimmer

Der bebrillte Schwimmer durchfurchte den rechten Rand des Beckens. Ohne Pause spurte er seine Bahn.
Niemand kreuzte seine Bugwelle.
Die anderen, meist Frauen, schwammen unterschiedliche Bahnen, flexibel, wo immer sie Platz fanden. Mal verschnaufte eine am Rand, mal schwammen ein paar als kleine Gruppe und schwatzten miteinander. Ertrunkene Insekten von der Wasseroberfläche sammelten sich in Dekolletés.
Rückenschwimmen gab es nach Lust und Laune oder nach Sonnenstand.
Problemlos, ohne Zusammenstoß oder ungesunde Drehung des Halses glitten die Schwimmbadbesucher entspannt durch das Wasser.

Alles hatte seine Ordnung, alle waren zufrieden und genossen das allmorgendliche Ritual - bis zu jenem Dienstag Anfang Juli.
Plötzlich war ein Neuer da, nicht mehr ganz jung.
Auch ihm wird freundlich zugenickt, bevor die tägliche Routine beginnt. Der bebrillte Schwimmer strebt zu seiner Bahn, zwei Frauen suchen sich ihre Bahnen in stummer Rücksichtnahme.

Der Grauhaarige zögert noch.
Die beiden Frauen und der Sportschwimmer schwimmen fünfundzwanzig Meter hin, fünfundzwanzig Meter zurück, hin und zurück…
Jeder im eigenen Rhythmus. Die fast meditative Stille wird nur durch den Wellenschlag unterbrochen.

Dann geschieht das Unerhörte: der Fremde plumpst ins Wasser!
Plätschert einfach quer durch das Becken! Schwimmt von rechts nach links zwischen den Frauen hindurch, allerdings ohne sie zu behindern.
Ihre Blicke krallen sich in seinen Rücken.
Was wagt dieser Neuling?
Er schwimmt lächelnd und ohne Plan und Ziel!
Der Sportschwimmer zieht autistisch seine Bahnen, die beiden Damen aber dümpeln miteinander flüsternd am Rand.

Es dauert einige Schönwettertage, ehe die neue Erfahrung alltäglich wird.



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