AMSTERDAM,
Leidseplain
Frühlingsgrün
die vielen Bäume. Blütenblätter schwammen in Schwärmen auf den
Grachten. Es roch nach Benzin, Kebap und modrigem Wasser. Temporeich
die Bewegungen in der Straße, ein buntes Gewirr aus Straßenbahnen,
Bussen, Taxis, Zweiradfahrern, Autos und mutigen Fußgängern.
Eine
Ecke weiter, am Hotel Americain mit dem berühmten Literatencafe,
warfen Blumenbeete mit tausenden weißer und blauer und rosa
Hyazinthen betörende Duftfallen aus. Schön geschwungene Holzbänke
luden zum Verweilen ein.
Der
Leidseplain umfing mich mit Bildern von lebhafter Vielfalt. Ich
wurde Teil des Platzes, bewegte mich im Strom der Menschen, ließ mich
verzaubern von Details und genoss das Ganze. Es
gab Schau – Spiele, deren Drehbuch den Akteurinnen selbst neu
schienen:
Zwei
blonde Frauen, wohl Anfang dreißig gingen, scheinbar zielstrebig,
vorüber. Plötzlich blieb eine stehen, lachte und begann zu steppen.
Dabei schnippte sie mit den Fingern und verbeugte sich graziös nach ihrem improvisierten Stepptanz.
Ich
klatschte Beifall, zwei ältere Frauen von der Nebenbank fielen ein,
gelöst und heiter lachten wir uns an. Die "Leichtigkeit des Seins“
wurde spürbar! Die
jungen Frauen liefen lachend weiter. Meine Nachbarinnen erklärten,
sie seien aus Brasilia. Leider konnten sie kein englisch und ich kein
portugiesisch. Ihrer
melodischen Unterhaltung hörte ich zu und überlegte worüber sie so
angeregt reden könnten. Die Freude über jenen spontanen Tanz hatte
uns einen Moment lang verbunden.
Ein
junger Mann von vielleicht fünfundzwanzig Jahren breitete eine
glatte Folie in einer Ecke des Platzes aus. Er sagte, er sei aus
Nigeria und reise tanzend um die Welt. Anschließend warf er seinen
Kassettenrecorder an und eine furiose Vorstellung begann: Breakdance
der akrobatischen Art. Er wirbelte auf seinem Kopf so um die eigene
Achse, dass einem fast schwindlig wurde, tanzte gestützt
auf eine Hand, bewegte sich, als wisse er nicht mehr oben und unten
zu unterscheiden, schlug Saltos aus dem Stand. Dabei hörten wir
einen Sprechgesang vom Band. Alles an dem Tänzer war dunkel, seine
Kleidung, sein Helm, seine Haut. Umso mehr fielen sein lachender Mund
und seine Augen auf.
Am
Ende dieser atemberaubenden Vorstellung sagte er, er lebe vom
Applaus, aber für die Eisenbahn brauche er Geld. Er bekam viel
Applaus und leider wenig Geld!
Eine
Weile später, das Publikum hatte sich wieder verlaufen, gingen vier
junge Mädchen vorüber. Sie blieben an einer Laterne stehen, eine
nahm ihre Brille ab und streifte sich zwei Augenklappen über.
Sorgfältig arrangierten ihre Freundinnen die beiden Gummibänder
unter dem langen blonden Haar. Danach setzte sie ihre Brille über
die Augenklappen und ließ sich von den anderen führen.
Ein
neues Spiel? Selbsterfahrung? Hörtraining? Die vier gingen vergnügt
weiter.
In
der aufkommenden Dämmerung begann ein Jongleur seinen Auftritt:
Spiel mit zwei laufenden Motorsägen, Spiel mit Machete, Motorsäge
und Apfel - am Ende war der Apfel gegessen! Zum Schluss jonglierte er
mit drei brennenden Fackeln auf dem Hochrad. Sehr spektakulär, sehr
laut und sehr gekonnt!
Freitagmittag
fuhren demonstrierende Stadtarbeiter am Platz vorbei. In ihren Haaren
leuchteten gelbe Bänder. Laut hupend forderten sie Lohnerhöhung. Ein
Streikbrecher - Team der Stadtreinigung kam trotz der Demo zum
Platz. Der Arbeiter hielt einen Saugrüssel über den Papierkorb,
sein Kollege im kleinen Müllauto drückte einen Knopf, ein leises
Plopp und leer war der Papierkorb. Flott, hygienisch und notwendig,
Burger King, Mc Donalds und Co. sei es nicht gedankt.
Müll als
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, dieser Aspekt ist neu und
unbefriedigend.
Abends
mischten sich die Parfümwolken der Theaterbesucher mit dem Geruch
des Tages. Die Leuchtreklame am Eckgebäude der Versicherung
gegenüber dem Hotel Americain flimmerte grell, darunter funkelte rot
eine Laufschrift mit Nachrichten und Börsenberichten.
Schräg
gegenüber ist die Stadsschouwburg, das Stadttheater, ein prächtiges
Gebäude mit schönen alten Lampen! In
der Dunkelheit blinkten die Lichterketten im Geäst der Platanen am
Leidseplain und wetteiferten mit den Lampen darum, die Szene
angemessenen auszuleuchten.
Irgendwann
zwischen dem Trubel der Nacht und der Morgendämmerung glaubte ich,
den Atem der Stadt zu spüren.
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mit diesen erinnerungen an einen frühlingsurlaub vor fünfundzwanzig jahren wünsche ich allen hier lesenden angenehme feiertage. möget ihr etwas von der leichtigkeit erfahren, die ich damals spürte, die mir eine wertvolle erinnerung wurde.