Ferien
auf dem Land 1957
Die
schönsten Ferien meiner Schulzeit verbrachte ich, ein Mädchen aus
Daun, 1957 im nur etwa neun Kilometer entfernten Kirchweiler.
Ännie,
die Kusine meiner Mutter, hatte gesagt, ich könne gern zu ihrer
Familie in Ferien kommen. Es machte mir nichts, dass ich außer ihr,
die etwa so alt war wie meine Mutter, niemanden aus der Familie
kannte. Ich wollte auf einen Bauernhof mit Tieren!
Meine
Eltern hatten kein Auto, so wurde ich zu Beginn der Ferien mit dem
Firmenfahrzeug von Vaters Arbeitgeber mitgenommen. Mein Gepäck
war in einem kleinen Koffer, ich brauchte nicht viel.
Bei meinen
Gasteltern lebten zwei ledige Töchter um die dreißig und ein Sohn,
der in der Ausbildung war. Nähere Details interessierten mich mit
acht Jahren nicht, alle verwöhnten mich, waren freundlich.
Im
Nachbarhaus, einem Bauernhof mit mehr Kühen als bei unserer
Verwandtschaft, gab es auch zwei Töchter, eine in meinem Alter, eine
war etwas jünger. Wir hatten schnell Kontakt miteinander. Der
Kuhstall ihrer Eltern war voller Schwalben, an der Decke entlang ein
Nest neben dem anderen. Begeistert schaute ich zu, wie die Schwalben
rein- und rausflogen, ohne je ihr Ziel zu verfehlen.
Immer
wieder streunten wir drei durch das Dorf, es schien mir eine große
und fremde Welt, und sie waren wunderbare Fremdenführerinnen. Die
Straße hinauf zur Kirche kam mir wie ein Berg vor, der Weg zum alten
Sendemast des SWR auf dem Schartenberg schien weit wie eine
Expedition.
Außerdem gab es auf dem Ernstberg eine Höhle. Wir
durften nicht allein hinein gehen, und hätten es auch nicht gewagt.
Aber es war schön gruselig davon zu reden!
Kindheit war
damals die Zeit, in der wir immer wieder die gleichen Dinge taten und
damit ein Gespür für die Ewigkeit bekamen. Der Sommer schien
endlos, und trotz aller neuen Erfahrungen war ich geborgen in den
Regelmäßigkeiten meiner Umgebung. Es brauchte keine Nachfrage, um
zwölf Uhr wochentags gab es Mittagessen, um neunzehn Uhr, nach der
Stallarbeit, gab es Abendessen. Sonntags war erst um halb eins
Essenszeit, vorher gingen alle zur Messe in die Kirche.
Klar war
auch, dass ich pünktlich sein musste, es gab ja die Kirchturmuhr,
oder in Rufnähe bleiben. Zu spät kommen war undenkbar.
Als
Ferienkind durfte ich wochentags aufstehen, wann ich wollte, und
bekam dann ein Glas Milch und ein Marmeladenbrot. Ich hatte weder
Zeit noch Lust bis zum Mittag zu schlafen. Die beiden Mädels von
nebenan warteten ja schon!
Es war wunderbar, dass es einen
großen Bauerngarten gab, in dem ich von den Beeren naschen konnte.
Es stand da auch ein großer Obstbaum, in dessen Schatten ich mit
Nachbars Töchtern spielen konnte. Alte Decken und Bettlaken gaben
ein wunderbares Zelt, wenn man sie zwischen Wäscheleine und Baum
verknotete.
Ich erinnere mich, wie wir Möhren aus der Erde zogen,
wuschen und aßen. Den Geruch der Erde, des Krautes und den
wunderbaren Geschmack frischer, selbst geernteter Möhren –
unübertrefflich!
Wir hatten jede eine Puppe, einige bunte Tücher,
die als Decken der Puppen dienten, altes Puppengeschirr, einige
Blechtassen. An manchen Tagen gab es Haferflocken mit Kakao und
Zucker als Festspeise für die Puppen. Da sie nicht aufaßen, durften
wir ran!
Unsere „Wohnung“ war dekoriert mit Fundstücken wie
Federn, Scherben, Wiesenblumen oder ähnlichem, wir spielten
Rollenspiele und tuschelten miteinander über unsere Welt.
Das
Klickerspiel mit bunten Murmeln aus Ton und Glas entdeckte ich in
diesem Sommer. Einfach im Hof mit der Ferse eine Kuhle in die Erde
drehen und eine Handvoll Murmeln werfen. Dann mit geschicktem
Schnipsen des Daumens die Murmeln in die Kuhle schubsen.
Oder wir
spielten Hüpfhäuschen: fünf Quadrate längs und beim vierten
Quadrat zusätzlich rechts und links je eines mit einem Stöckchen
oder Stein auf die Erde gezeichnet, eine kreuzförmige Zeichnung das
Ganze. Die Spielerin bekam einen Stein, den sie nacheinander in die
jeweiligen Quadrate werfen musste, um diese dann zu überspringen.
Wer auf die Linie hüpfte, musste aussetzen!
Verstecken
spielten wir mit anderen Jungen und Mädchen, damals gab es viele
Kinder im Dorf! Am Bach stauten wir Wasser, manchmal sammelten wir
Kaulquappen. Leider bestaunten wir auch Salamander, die überlebten
das oft nicht.
Wir hätten gerne ein Fahrrad oder einen
Roller gehabt, aber das war unerreichbar. Rollschuhe waren mir zum
nächsten Geburtstag versprochen, Brettspiele rar. Es gab weder
Fernsehen noch Radio für uns, erzählen ließen wir uns Geschichten
von früher, wenn jemand sich Zeit nahm. Irgendwer hatte ein uraltes
Märchenbuch mit Bildern, und dann gab es sonntags die Pfarrbücherei.
In jenem Sommer vor bald sechzig Jahren lernte ich viel vom
Leben im Dorf, vom alltäglichen Miteinander. Montags flatterte die
Wäsche auf der Leine, freitags gab es Mehlspeisen, samstags duftete
frisch gebackener Sonntagskuchen durchs Haus.
Saisonale Ernährung
war selbstverständlich, die pünktliche Versorgung der Kühe und
Hühner war Pflicht, die Kühe hießen noch Lisa oder Berta oder
Resi. Es wurde Marmelade gekocht, eingeweckt in Gläser, und Gemüse
in Krautständer eingelegt
Beladen mit einigen dieser Schätze
des Sommers kehrte ich heim. Beim Abschied gab es Tränen. Danach war
ich übrigens trotz aller Versprechen nie mehr in den Ferien in
Kirchweiler.