Mittwoch, 7. Juni 2023

noch ein feiertag: fronleichnam





 Fronleichnam – Erinnerungen

Aufregung schon Tage vorher: wird das Wetter halten, wer geht mit mir Blumen zupfen, wo können wir Fichtenspitzen abpflücken, was werde ich verdienen?

Ja, Fronleichnam war das Fest im Jahr, an dem ich meine ersten Groschen verdiente. Ich war damals in einer der ersten Klassen der Volksschule in der Burgfriedstrasse, noch keine zehn Jahre alt. Meine Freundin Beatrix und ich gingen Blütenköpfe sammeln am Hang zum Wehrbüsch, da gab es Teufelskralle, Margeriten, Wiesenschaumkraut und Butterblumen.

Und hinter dem Sportplatz im Wäldchen waren die Fichten noch so niedrig, dass wir die neuen Austriebe abpflücken konnten. Irgendwie wussten wir, dass das nicht erlaubt war, aber wir sagten uns, wir holen ja nicht viel. Der harzige Geruch von frischem Fichtenaustrieb erinnert mich noch heute an diese Aktionen. Schnell ging es auch, die Lupinendolden oder Ginster abzustreifen. Unser Lesegut kam in Spankörbe, später in der Burgfriedstrasse oft in eine große Zinkwanne. Manchmal wurde auch schon beim Sammeln sortiert. Einfarbige Blütenköpfe oder Koniferenaustriebe, jeweils nur eine Sorte, wurden benötigt, um Bilder zu legen, oder die wunderbaren Blütenteppiche vor den Altären.

Es gab einige Groschen, wenn wir mit unseren Spankörben ankamen und sie älteren Menschen oder Geschäftsleuten anboten. Zehn Pfennig für STORCK-Riesen -Karamellen und Kaugummi konnte es schon geben. Oder es reichte für eine Handvoll loser Bonbons aus dem Kaufhaus Meyer

Auch viele Anwohner an der geplanten Prozessionsstrecke richteten kleine Altäre vor ihren Eingängen. Da wurden Zimmerpflanzen herausgeholt, Hortensien und Gummibäume, Alpenveilchen und Fleißige Lieschen wurden arrangiert um ein Kreuz oder ein frommes Bild. Als Untergrund diente oft ein Teppich oder eine Tischdecke. Es gab, glaube ich, einen regelrechten Wettbewerb darum, wer das schönste Bild auf der Strasse oder am Altar legte. Gartenbesitzer rupften dafür auch prächtige Pfingstrosen oder Schneeball.

Stundenlang herrschte geschäftiges Treiben in den frühen Morgenstunden des Fronleichnamstages, bis alles wunderbar aussah.

Die Männer besorgten Buchengrün und Fichtenzweige und verdeckten damit Hauswände hinter dem Altar. Die gelb- weißen Kirchenfahnen wurden aufgestellt, und kleine Papierfähnchen in das Grün gebunden.

Früh begann die Prozession. Zuerst ging der Pfarrer mit der Monstranz unter dem von Männern getragenem Baldachin auf dem Blütenweg, anschließend die neuen Kommunionkinder, danach die anderen Gemeindemitglieder, getrennt nach Männer und Frauen.

Am Ende der Prozession trafen alle Teilnehmer in der St.-Nikolaus-Kirche ein. Dort erteilte der Priester auch den Schluss-Segen. Es war sehr bewegend, wenn Männer mit historischen Fahnen den Altar umstanden, die Messdiener die Schellen erklingen ließen, die Orgel “Großer Gott, wir loben Dich“ spielte und alle laut sangen! Andere Messdiener schwangen die Weihrauchbehälter und umhüllten die vorderen Reihen mit Wohlgeruch.

Zurück blieben auf der Straße zertretene Blütenteppiche, die wegen der Rutschgefahr schnell weggekehrt wurden. Und einige Blumensträuße, die in den Häusern und auf dem Friedhof aufgestellt wurden, nachdem die Altäre abgeräumt waren.


Wie war bei euch dieses Fest? Zum Teil sicher normaler Arbeitstag, da es kein bundesweiter Feiertag ist.


10 Kommentare:

  1. Bei uns,
    liebe Roswitha,
    war (und ist) Fronleichnam kein Feiertag.
    Aber ich nahm soeben teil: Beim Lesen deiner Erinnerungen mit all den intensiven Eindrücken :)
    Ich hätte wohl dieses Fest sehr gemocht als Mädchen. Und wäre ebenfalls Blumen pflücken gegangen. Mit meiner Kindheitsfreundin, die Christine hiess...
    Einen frohen Fro(h)nleichnamstag wünsche ich dir!
    Herzlichen Gruss aus Basel
    Hausfrau Hanna


    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. christine und du hätten gerne mitsammeln dürfen, schön das dich diese erinnerungen freuen, liebe hausfrau hanna. dir ein angenehmes wochenende, herzlichen gruß, roswitha

      Löschen
  2. In Berlin haben nur die Mitarbeitenden katholischer Einrichtungen frei. Am Abend gibt es am Bebelplatz vor der Hedwigskathedrale eine Fronleichnamsfeier mit Prozession, zu der sich das katholische Berlin trifft. Ansonsten findet Fronleichnam am darauffolgenden Sonntag in unterschiedlichen Formen in den Gemeinden statt, z.B. Umzug um die Kirche mit anschließender Messe draußen .o.ä. Da in den letzten Jahren viele Gemeinden zu "pastoralen Räumen" zusammengeschlossen wurden, gibt es auch Prozessionen von einer Kirche zur anderen. Geschmückte Ältäre, Blumenteppiche und viel Weihrauch wie ich das aus Süddeutschland, Österreich und Südtirol kenne, habe ich hier noch nicht gesehen. Berlin ist säkular und katholische Diaspora (3 Prozent Katholiken).

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. ich war schon jahrzehnte nicht mehr zur prozession, wurde wg. scheidung evangelisch. in unserem ort hörte ich das schlußlied über den marktplatz schallen, leider ganz schlecht gespielt vom musikverein. wunderte mich, weil dieses lied doch uralt ist. kleine altäre gab es auch am wegrand und einen blütenteppich. aber gute erinnerungen habe ich!

      Löschen
  3. Hallo Roswitha, gerade lese ich, dass sechs Bundesländer an diesem typisch katholischen Feiertag arbeitsfrei haben.
    Als Kind in Görlitz fand die große Prozession für alle 4 katholischen Kirchen im Stadtpark statt - mit großen Blumenteppichen. - Meine Mutter hat mein Blumenblätterstreukörbchen im Blumenladen füllen lassen - die waren wohl schon speziell darauf eingerichtet. - Ansonsten habe ich keine großen Erinnerungen daran - wir (wenigen) katholischen Schulkinder haben frei bekommen - wie das mit den arbeitenden Leuten war, weiß ich nicht mehr.
    Ich weiß gar nicht, ob ich mir das morgen mal an der Hedwigskathedrale ansehe - mein Abstand zur katholischen Kirche ist durch die vielen Missbrauchsskandale so groß, dass ich keine Bindung mehr spüre.
    Liebe Grüße von Clara

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. mein abstand ist durch die scheidung entstanden, die katholische kirche löst eine ehe nur schwer auf, ich gab auf und arbeitete bei der evangelischen kirche. es bleiben uns erinnerungen. herzlichen gruß, roswitha

      Löschen
  4. Heute ist bei uns Werktag. Doch in der Kindheit gab es auch sehr aufwändig gestaltete Auffahrtsprozessionen durchs Dorf.
    So detailliert ist meine Erinnerung daran aber nicht wie bei dir. Bei dir scheint jede Einzelheit noch präsent zu sein: Ich bewundere dich dafür!
    Einen lieben Auffahrtsgruss,
    Brigitte

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. liebe brigitte, die bezeichnung auffahrtprozession ist mir neu, gefällt mir, sagt eigentlich etwas anderes. herzlichen gruß für dich, roswitha

      Löschen
  5. Liebe Roswitha,
    du hast wirklich ein einmalig gutes Gedächtnis! Bei mir sind beim Lesen deiner Erinnerungen auch wieder einige Dinge ins Gedächtnis gekommen, aber ich kann mich nicht an alles erinnern. Ich weiß noch, wie wir Blütenköpfe am Wehrbüsch gesammelt haben und die Austriebe der Fichten fand ich besonders zart und schön. Es hat Freude gemacht, deine Erinnerungen zu lesen. Vielen Dank dafür und liebe Grüße
    Beatrix

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. liebe beatrix, du bist ja ein teil dieser und anderer wichtiger erinnerungen, es ist wunderbar, dass wir uns nicht in den jahrzehnten ganz verloren haben. deine erinnerung an die zarten und schönen fichtenaustriebe ist schön. sei umarmt von deiner uraltfreundin roswitha(über 70 jahre!)

      Löschen

naheliegende gedanken

gerne gesehen im TV: Wie und wo möchten wir heutzutage sterben? Was passiert beim Sterbeprozess? Wie steht es um die Kultur der Sterbebegl...