Montag, 11. Februar 2019

Gespräch im IC



Der Gerüstbauer - Begegnung im IC

Geboren in Berlin Mitte, stolz auf seinen Stadtteil. Über die Zeit vor der Wende hat er keine Erinnerungen mehr, war er noch Kind, sagte er. Verdient prima, hat eine Eigentumswohnung gekauft in seinem Stadtteil, modern, mit Tiefgaragenplatz. Den braucht er nicht, weil er kein Auto hat. In Berlin ist ein Auto nur lästig, meint er. Er leiht sich eines, wenn er es braucht. Seine Freundin studiert Betriebswirtschaft, sie wohnt bei ihm. Heiraten wollen sie irgendwann, aber Kinder in Berlin möchten sie keine. Große Scheiße, wie die Kinder hier in der Stadt leben, das wollen sie Kindern nicht zumuten.
Er fährt zu seiner Oma aufs Land, bei Erfurt. Da können Kinder leben, dort kann auch er leben. Er sagt, das sei der Ort, an dem er sich grenzenlos wohl fühle. Er ist voller Vorfreude auf seine Oma und die Verwandten, eine große Familie sind sie dort. Von Politikern hält er nicht viel, wirtschaften doch eher für ihresgleichen, behauptet er. Aber er ist gegen Techniken, die der Umwelt schaden, gegen Atomkraft und Gentechnik.

So sitzt er vor mir: Ein junger Mann mit Glatze, riesige Tätowierungen an den Armen, Minihandy in der Sporttasche, auf dem Weg zu seiner Oma. Er hatte mich nur angesprochen, weil er Feuer für seine Lucky brauchte.

Wenn er von seiner Oma sprach, kam soviel Wärme in seinen Ausdruck, dass ich diese Oma beneidete. Und von der Landschaft um das Dorf schwärmte er fast wie die alten Erzähler.
Sonst ist er ganz cool. Jemanden in der Stadt helfen findet er unnötig, jeder solle selbst sehen wie er zurechtkommt, denkt er. Ihm gehe es gut, seiner Freundin auch. Und wenn er Zeit habe, fahre er zu Oma, andere Urlaubsziele brauche er nicht. Das ist jetzt so, sagt er, wie es später sein wird, weiß er nicht.

2 Kommentare:

  1. Gutes Lebensplanung:
    Mit Freundin, Beruf, Wohnung, Wohlstand
    + mit Oma
    und der vertrauten Heimat... zum Besuchen ♥

    So sterben WIR denn dann aus, wen kümmert´s (ړײ)

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  2. Da hat jemand seinen Platz im Leben gefunden. Erfurt finde ich großartig. Wenn ich nach Berlin fahre, mache ich dort gelegentlich einen Zwischenstopp. Krämerbrücke, Dom, die guten Bratwürste - dort lässt es sich aushalten.

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