Montag, 6. September 2021

Der 100. Geburtstag

 


Kalendereintrag: 25. August 2048 - Geburtstagsfeier

Nun sitze ich hier und überlege, was ich auf der großen Geburtstagsfeier der hundertjährigen Lisa sagen könnte. 

Wir leben in einer Zeit der Umwälzungen und können dankbar sein, dass nicht größere Katastrophen nötig waren, um zu diesen Änderungen bereit zu sein. Ich erinnere mich noch gut wie eine Hiobsbotschaft die nächste ablöste: Klimaveränderungen, zu viele alte Menschen, die versorgt werden müssen, und kaum Kinder. Menschen arbeiteten für so wenig Lohn, dass es nicht zum würdevollen Leben reichte, während andere Millionen erhielten.

Vieles wurde erreicht in den vergangenen dreißig Jahren! Nach über einhundertfünfzig Jahren wurde die Rentenversicherung reformiert. Natürlich gab es Widerstand, besonders von den Gruppen, die mehr zahlen mussten, oder deren Gewinne schrumpften.

Wir leben in einer Demokratie deren Werte sich verändert haben. Toleranz gegenüber Andersdenkenden, offenes Schauen und Lassen, solange die Rechte der Mitmenschen nicht verletzt werden, sind die Regel.

Die Strafgesetzgebung setzt andere Maßstäbe als in früheren Zeiten:

Manager, die bei eigener Bereicherung tausende Arbeitsplätze vernichten, haften dafür. Ebenso sind Menschen bei öffentlichen Aufgaben verantwortlich für ihr Handeln, sie können sich nicht in der Anonymität einer Behörde verstecken, es gibt eine Amtshaftung. Wasser, Luft und Boden gehören keinem Konzern oder Einzelnen, sondern sind schützenswertes Allgemeingut. Nicht wirtschaftliches Wachstum ist das oberste Ziel, sondern ein gutes, auskömmliches Leben für alle.

Ganz besonders wichtig war die Erkenntnis, dass Aufgaben im Umgang mit Menschen im Altenheim oder Kindergarten nicht weniger wert sind als Arbeit z. B. in einer Autofabrik. Pflegearbeit wird besser bezahlt und die Pflegenden erfahren die Anerkennung ihrer Mitbürger und Mitbürgerinnen. Menschen, die sich um das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen und deren Förderung bemühen, gelten als fortschrittlich.

Es gibt ein Bürgergeld für alle, und jeder Erwachsene kann nach seinen Fähigkeiten durch Arbeit sein Einkommen erhöhen. Mit ihren Ruhestandbezügen haben auch die alten Menschen nun soviel zur Verfügung, dass es für den Friseur oder andere Extras reicht, auch wenn sie im Altenheim leben.

Unsere Jubilarin lebt in einem Mehrgenerationen- Hof. Dort gibt es neben der Alten- Wohngruppe eine Kindertagesstätte und einige kleine Wohnungen für Alleinstehende. Das ganze Projekt war anfangs sehr umstritten, jetzt ist es Mittelpunkt unserer Gemeinde.

In der ehemaligen Scheune des Anwesens finden Kurse und Veranstaltungen der Volkshochschule und der Vereine statt. Mitten im Dorf ist alles, sogar einen genossenschaftlich organisierten Lebensmittelladen mit kleinem Café gibt es. Da praktisch in jedem Haushalt Menschen Anteile an diesem Geschäft besitzen, ist er sehr erfolgreich.

Dank des Zuwanderungsgesetzes bekam unser Land wieder junge Arbeitskräfte. In der Pflege und Berufen im Umgang mit Menschen stieg die Zahl der Ausbildungen und Berufstätigen, auch Handwerker fanden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ebenso wie Nachwuchskräfte.

Ich werde der Jubilarin sagen wie gern wir ihren Geburtstag feiern. Sie war eine der ersten, die sich damals für dieses Wohnheim und den Hof einsetzten. Mutig vertrat sie ihre Meinung und suchte Gleichgesinnte. Als in der Zeitung ein Kuschelroboter für Demenzkranke vorgestellt wurde, war für sie eine Grenze überschritten. Menschenwürde ging ihr immer vor Wirtschaftlichkeit, im Altenheim wie im Kindergarten oder im Krankenhaus.

Gemeinsam mit allen werden wir ein Ständchen singen, und wir werden zusammen lachen, reden und essen.

© Roswitha

Georg Bernhard Shaw: Ihr seht die Welt wie sie ist und fragt: Warum?

                                      Ich träume Dinge, die es nicht gibt und frage: Warum nicht?









6 Kommentare:

  1. Oh ja, warum nicht!
    Es könnte ja alles so gut und wohltuend und gerecht sein...
    Einen nachdenklichen Gruss,
    Brigitte

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. träumen darf man ja, und manchmal hoffen. lieben gruß, roswitha

      Löschen
  2. 100 Jahr... goldenes Haar 🎶🎵🎶 sing und träller 🎉🙏🥂🍾 ... oder 🤔 war's doch... 17 Jahr, blondes Haar... kichert ❤️🤗

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. ich will nicht mehr 17 sein, und blond war ich nie, aber ich singe gerne mit dir, liebe annette. gruß roswitha

      Löschen
  3. Möge,
    liebe Roswitha,
    dein letzter Satz genauso in Erfüllung gehen!

    Eine schöne gemeinsame Geburtstagsfeier wünsche ich euch -
    liebe Grüsse
    Hausfrau Hanna

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. halten wir die hoffnung wach, und sehen wir sie manchmal auch bei anderen aufblitzen!
      warum nicht? lieben gruß, roswitha

      Löschen

Milieu und Gemeinschaften

 wie kommt es, dass ganz normale menschen in bestimmten momenten anders als erwartet reagieren? bei den bauerndemos sagten männer dinge, die...