Dienstag, 12. Mai 2020

Überraschende Begegnung






Die Zeit läuft rückwärts

Brockmüller war einer der Menschen, nach denen man sprich-
wörtlich seine Uhr stellen konnte. Vom morgendliche Aufstehen
bis zum Schlafengehen erledigte er präzise wie ein Uhrwerk
alle notwendigen Verrichtungen des Tages.
Gewiss, er war freundlich. Aber auf eine Art, die seinen inneren
Zeitplan nicht gefährdete. Ein paar unverbindliche Worte zum Hausmeister im Finanzamt, seiner Arbeitsstätte, oder zu Nachbarn gehörten selbstverständlich zu seinem Umgang mit Menschen, denen er im Alltag begegnete. Durch diese
Korrektheit glaubte er zweifellos, seinerseits ein Anrecht auf einen reibungslosen Ablauf der Tage zu haben. Das Singleleben war wohlgeordnet, er hatte sich einen Lebensrahmen geschaffen, der frühere beunruhigende Turbulenzen
seiner Meinung nach ausschloss.

Auch heute war er pünktlich um 16.30 Uhr aus dem Büro gegangen. Er schritt zur Rückseite des Gebäudes, wo er seinen Mittelklassewagen parkte. Neben dem Auto stand eine junge, unbekannte Frau die ihn anschaute. Der direkte
Blick dieser Frau war ihm sehr unangenehm. Er ging an ihr vorbei, setzte sich ins Auto und fuhr weit ausholend um sie herum. Irritiert nahm er im Rückspiegel ein zaghaftes Winken wahr.
Er fühlte sich belästigt! Fast hätte er eine rote Ampel übersehen. Irgendwie erleichtert schloss er heute seine Haustür hinter sich und begann die übliche Feierabend-Routine.

Nach dem Abendbrot legte er eine Langspielplatte mit Musik von Beethoven auf.
Kurz bevor er den Kopfhörer aufsetzen konnte klingelte es.
Verärgert über diese Störung riss er abrupt die Türe auf.
Schon wieder diese junge Frau !
" Sie wünschen?" fragte er barsch.
" Ich muss Sie sprechen, es ist ganz wichtig, auch für Sie",
stammelte die Frau.

Brockmüller wollte endlich seine gewohnte Ruhe wiederhaben
und entgegnete ungeduldig: "Bitte, so sprechen Sie doch!"
Die Frau schaute ihn an und flüsterte: "Ich habe gestern
erfahren, dass Sie mein Vater sind."


8 Kommentare:

  1. O, oh! Tolle Geschichte! Er wird seinen inneren Zeitplan überdenken müssen... :--)
    Lieben Gruss,
    Brigitte

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    1. Ja, so kann es gehen, der Mensch plant und das Schicksal will es anders. LG, Roswitha

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  2. Tja, Herr Brockmüller ...
    Weihnachten im Mai ... (ړײ)

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    1. Gönne ich ihm, sollte ihm helfen neues zu erfahren.
      LG, Roswitha

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  3. Spannender Beginn,
    liebe Roswitha,
    und die Frage, ob es weitergeht mit Brockmüller?
    Und wenn ja, wie sich die Geschichte wohl entwickelt...


    Gespannt grüsst dich Hausfrau Hanna

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    1. Die Geschichte ist fertig, das Leben spielt sie weiter. Lustig finde ich, dass ich nach der Veröffentlichung einen Brief von einem Mann bekam, dem es so passiert ist. Ob er an den Storch geglaubt hat? ;-)
      LG, Roswitha

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  4. oje, der ärmste! schreibst du weiter, oder überlässt du uns die weiteren ausmalungen seines schicksals? spannend finde ich auch die kombi foto/text. sieht man da das material für einen
    künftigen nestbau oder ist und bleibt es nur angeschwemmtes unhaltbares sammelsurium, das mit dem nächsten hochwasser davontreibt? spannend...
    lieber gruß
    Sylvia

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    1. Gerne überlasse ich den Leserinnen und Lesern die Fortschreibung, ein wenig spinnen macht doch Freude. Dieser Mann könnte erfahren, dass so ein Nest etwas fragiles ist, an dem man arbeiten sollte. Ein Alltag in Beton gegossen ist kalt, denke ich. Ich gönne ihm die Chance.
      LG, Roswitha

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