Eine
Frau pflanzte eine kleine Buche, die sie am Wegrand entdeckt hatte.
Sie hegte das Pflänzchen, goss es in trockenen Zeiten, jätete das
Wildkraut in seiner Umgebung. Sie
tat alles, damit aus dem Sämling eine große Buche werden konnte.
Diese
Frau, meine Ahnin vor mehr als hundertzwanzig Jahren, erlebte mit dem Baum die Jahreszeiten. Sie sah ihn viele Jahre wachsen. Als sie alt
war, spendete ihr die Buche Schatten. Ihre Kinder bauten eine Bank
unter das Blätterdach. Manchmal stellten sie im Sommer Tische und
Stühle dazu und feierten. Im Winter setzten Kinder einen Schneemann
auf die Bank, ein altes Foto zeigt sie lachend mit ihrer Schöpfung.
Abends traf sich manchmal ein Liebespaar auf dieser Bank und träumte
sich in eine gemeinsame Zukunft.
Während
der großen Kriege hüteten die Nachfahren der Frau die inzwischen
stattliche Buche, damit sie nicht zu Brennholz würde. Ihr Anblick
war ihnen Trost und schenkte Gedanken an Dinge, die über die
täglichen Aufregungen hinausgingen. Der Baum war ein Teil ihrer
Heimat, die Erinnerungen machten ihn zu einer unverwechselbaren
Buche.
Was
geschähe, würde jemand diesen Baum fällen? Es bliebe die
Erinnerung an ihn, solange noch ein Mensch lebte, der den Baum
gekannt hatte. Und sogar darüber hinaus, weil diese Menschen anderen
von dem Baum erzählen könnten, den es einmal gegeben hatte. Das
Bild mit dem Schneemann bliebe, jemand hätte vielleicht eine
Zeichnung des Baumes in seiner alten Schulmappe, ein Flurname
erinnerte an die Buche,...
Lange
würde es dauern, bis nichts mehr eine Erinnerung wecken könnte. Jene
erste Handlung des Pflanzens rückgängig zu machen ist unmöglich.
Dieser Buchensämling wuchs und nahm sich Raum. Die
Vergangenheit von der Zukunft befreien kann nur der Tod.
Miteinander
in Gemeinschaften
All
dies gilt im übertragenen Sinn auch für Gemeinschaften, in denen
das Miteinander geregelt wird.
Die
Zukunft eines Landes beginnt heute, die Vergangenheit endete gestern.
Ein Land kann Verträge schließen für die Zukunft, die Entscheidung
dazu resultiert aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Ob die
erwünschten Ziele erreicht werden, hängt von den Menschen ab, die
den Vertragstext umsetzen.
Gesetze
regeln unser Leben - die immer differenzierteren Verordnungen und
eine steigende Gesetzesflut in hoch organisierten Ländern wie der
Bundesrepublik lähmen die Dynamik der Entwicklung.
Um
noch einmal auf das Symbol des Baumes zurückzukommen: Es wächst
damit kein kraftvoller Baum heran.
Die
nach Verordnungen und Normen gewachsene Buche wird Stützen brauchen,
ständig beschnitten werden nach dem jeweiligen Willen derer, die das
Sagen haben. Das nimmt dem Baum die Individualität, er wird zu
irgendeinem Baum, abhängig von weiteren Pflegemaßnahmen.
Überregulierung
und Ausbeutung
Eine
Überregulierung des Lebens beschränkt die Zukunft. Sie lässt jenen
gefährlichen Trugschluss zu, dass die vergangenen Erfahrungen sich
nie mehr ereignen werden. Es
scheint auch Angst vor evolutionärer Dynamik zu sein, die uns
Deutsche ein Übermaß an Regelungen finden lässt.
Ist
es nicht der Wunsch nach Sicherheit? Die nicht eingestandene
Sehnsucht danach, die Gegenwart festzuhalten, weil der Blick in die
Welt zeigt, wie gut wir im Vergleich zu vielen anderen Menschen
leben?
Unser
Wohlstand beruht zum Teil auf der Ausbeutung ärmerer Länder. Diese
zahlen, um am technischen Fortschritt teilzuhaben. Welchen Preis
zahlen sie wirklich?
Hier
müsste die Zukunft von der Vergangenheit befreit werden, hier muss
eine neue Art des Umgangs nach mehr Partnerschaft streben. Unser
wirtschaftliches und politisches Handeln schränkt den
Handlungsspielraum wirtschaftlich schwächerer Länder ein, nimmt
ihnen damit Zukunft und das Recht auf ihren eigenen Weg. Die
Entwicklung geschieht selbstverständlich durch Mithilfe dortiger Entscheidungsträger, die unser Modell für erstrebenswert halten.
Entwicklungshilfe
ist ein Almosen, gerechte Bezahlung hier dringend benötigter
Rohstoffe wäre ein Schritt, der die Zukunftsfähigkeit der
Handelspartner stärken würde.
Fazit:
Wenn wir das Leben lieben,
sollten wir uns der Vergangenheit und Zukunft bewusst sein. Im Heute
muss durch Reflexion und Handeln nach bestmöglichen Wegen gesucht
werden, wie gutes Leben für uns und andere möglich ist.
Mehr
Mut zu visionärer Hoffnung bei klarem Blick für die Gegenwart wäre
zu wünschen; ein Denken und Handeln, das nicht alle von Menschen
geschaffenen Gegebenheiten als Naturgesetze akzeptiert, sondern
hinterfragt und voranbringen will.