Die
Zeit läuft rückwärts
Brockmüller
war einer der Menschen, nach denen man sprich-
wörtlich
seine Uhr stellen konnte. Vom morgendliche Aufstehen
bis
zum Schlafengehen erledigte er präzise wie ein Uhrwerk
alle
notwendigen Verrichtungen des Tages.
Gewiss,
er war freundlich. Aber auf eine Art, die seinen inneren
Zeitplan
nicht gefährdete. Ein paar unverbindliche
Worte
zum Hausmeister im Finanzamt, seiner Arbeitsstätte,
oder
zu Nachbarn gehörten selbstverständlich zu seinem Um-
gang
mit Menschen, denen er im Alltag begegnete. Durch diese
Korrektheit
glaubte er zweifellos, seinerseits ein Anrecht
auf
einen reibungslosen Ablauf der Tage zu haben. Das Single-
leben
war wohlgeordnet, er hatte sich einen Lebensrahmen
geschaffen,
der frühere beunruhigende Turbulenzen
seiner
Meinung nach ausschloss.
Auch
heute war er pünktlich um 16.30 Uhr aus dem Büro
gegangen.
Er schritt zur Rückseite des Gebäudes, wo er immer seinen
Mittelklassewagen
parkte. Neben dem Auto stand
eine
junge, unbekannte Frau, die ihn anschaute. Der direkte
Blick
dieser Frau war ihm sehr unangenehm. Er ging an ihr
vorbei,
setzte sich ins Auto und fuhr weit ausholend um sie
herum.
Irritiert nahm er im Rückspiegel ein zaghaftes Winken
wahr.
Er
fühlte sich belästigt! Fast hätte er eine rote Ampel über-
sehen.
Irgendwie erleichtert schloss er heute seine Haustür
hinter
sich und begann die übliche Feierabend-Routine.
Nach
dem Abendbrot legte er eine Langspielplatte mit Musik
von
Beethoven auf.
Kurz
bevor er den Kopfhörer aufsetzen konnte klingelte es.
Verärgert
über diese Störung riss er abrupt die Türe auf.
Schon
wieder diese junge Frau !
"
Sie wünschen?" fragte er barsch.
"
Ich muss Sie sprechen, es ist ganz wichtig, auch für Sie",
stammelte
die Frau.
Brockmüller
wollte endlich seine gewohnte Ruhe wiederhaben
und
entgegnete ungeduldig: "Bitte, so sprechen Sie doch!"
Die
Frau schaute ihn an und flüsterte: "Ich habe gestern
erfahren,
dass Sie mein Vater sind."
©
Roswitha